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UNLIMITED auf der Art Basel 2024

  • Autorenbild: Martina Nommsen
    Martina Nommsen
  • 20. Juni 2024
  • 4 Min. Lesezeit

Messehalle Art Basel 2024
Messehalle Art Basel 2024

Vor einer Woche war es wieder so weit: Die wichtigste Kunstmesse der Welt rief Kunst- und Kulturbegeisterte in die Schweizer Metropole Basel.

 

Interessant für mich ist bei dieser Grossveranstaltung nicht die klassische Art Basel, sondern vielmehr der oftmals vielversprechende Ausstellungsbereich des Unlimited Sektors. Ebenfalls sehenswert sind die kleineren Satellitenmessen Liste Art Fair, Volta sowie die photo basel.

 







Agnes Denes: Wheat Field
Agnes Denes: Wheat Field, 2024


Die Unlimited, der Name verrät es bereits, ermöglicht (inter-)nationalen Galerien, Werke auszustellen, die den üblichen Rahmen eines klassischen Kunstmessestandes sprengen würden. Und so alternieren monumentale Skulpturen und Installationen, raumgreifende Videowerke und meterlange Wandgemälde sowie Live-Performances in der 16.000 m2 grossen Ausstellungshalle miteinander. Werke, welche den unlimitierten Raum nutzen und teils eigens für die Unlimited erdacht und umgesetzt wurden.








Ugo Rondinone: luminous light, 2023
Ugo Rondinone: luminous light, 2023

In diesem Jahr wählte das Art Basel in Basel Selection Committee rund 70 großformatige Installationen sowie drei Live-Performances aus, deren Präsentation von dem Kunstkritiker Giovanni Carmine kuratiert wurde. Die Liste der ausgestellten Künstler:innen ist leider wie erwartet eindeutig maskulin dominiert: Von 70 gezeigten Positionen wurden nur 28 (!) von Künstlerinnen erschaffen. Darunter bekannte Persönlichkeiten wie Chiharu Shiota und Yayoi Kusama, Alicja Kwade, Jenny Holzer sowie Miriam Cahn. Künstlerinnen, die sich auf dem Kunstmarkt bereits namhafte Anerkennung erarbeiteten und sich auf einer Messe gut verkaufen lassen. (Am Ende des Beitrages folgt eine Liste mit allen ausgestellten Künstlerinnen).

 


Yayoi Kusama, Aspiring to Pumpkin’s Love, the Love in My Heart, 2023
Yayoi Kusama, Aspiring to Pumpkin’s Love, the Love in My Heart, 2023

Beim Betreten der Ausstellungshalle fallen umgehend die beiden Installationen von Christo und Mario Ceroli ins Auge – wer sich dort linksseitig hindurchwagt erreicht schnell den weiblichen Corner mit Jenny Holzer, Anna Uddenberg, Minjung Kim, Yayoi Kusama und Dominique Fung.


Minjung Kims ausgestellte Serien Mountain und Timeless werden mit dem dialogischen Übertitel Traces präsentiert. Die Künstlerin verwendet für ihre Arbeiten Hanji-Papier – in zarten Abstufungen nuanciert Tinte zwischen den verschiedensten Grau- und Schwarztönen. So erheben sich in der Serie Mountain Berge, Wälder oder wellenförmige Gebilde auf dem durchtränkten Papier. Timeless geht noch einen Schritt weiter und offenbart nicht nur die zarten Farbnuancen. Auf dem Papierträger sind einzeln geschnittene Papierstreifen sichtbar, deren Ränder die Künstlerin umsichtig mit Feuer verbrannte.




Auf der gegenüberliegenden Hallenwand werden wir als Betrachter:innen mit der aktuellen FOMO-Angst konfrontiert. FOMO – Fear Of Missing Out – wird von Christine Sun Kim als Wandinstallation präsentiert. Was wir möglicherweise als schwarze Sprechblasen zu erkennen meinen, sind allerdings 15 Umrisse der amerikanischen Gebärde für «Score». Diverse Aufforderungen lösen bei den Besucher:innen Kopfschütteln, Lachen, Finger zeigen und eifriges Nicken aus, denn seien wir ehrlich: Von diesen Sprüchen haben wir in der Arbeitswelt schon einige gehört. Darunter meine Favoriten:

«WOULD APPRECIATE IF YOU COULD COPY ME ON ALL EMAILS”

“FEEL FREE TO SHARE ANY DEVELOPMENTS”

“I AWAIT YOUR NEXT EMAIL WITH DETAILS”


Christine Sun Kim: FOMO Scores, 2024
Christine Sun Kim: FOMO Scores, 2024

Doch Kims Arbeit möchte nicht nur FOMO als generelles gesellschaftliches Problem thematisieren, sondern insbesondere auf die Schwierigkeiten innerhalb der Gesellschaft durch fehlende Berücksichtigung der «specific needs» hinweisen. Auch in der Kunstwelt fehlt es in musealen Gebäuden immer noch an Gebärdensprache und entsprechenden Untertiteln – diese Schieflage löst bei vielen Künstler:innen, aber auch Besucher:innen FOMO aus. Die 15 Leinwände heben sich durch ihre Schwärze nicht nur deutlich von dem weissen Hintergrund ab, sondern symbolisieren zugleich auch das schwarze Loch, in welchem keine Kommunikation stattfinden kann. Es ist ein Drahtseilakt: Das Einstehen für einen optimalen, barrierefreien Kommunikationsfluss und das Ablegen der kontrollbasierten FOMO und des Dranges, über alles informed zu sein.


Alicja Kwade: ParaPosition, 2024
Alicja Kwade: ParaPosition, 2024

Selten darf Kunst berührt werden – als sich eine Besucherin für ein Foto mit einer Hand an Christos verhüllten Beetle Saloon abstützte, kam hektische Bewegung in das Aufsichtspersonal. Anders verhält es sich bei Alicja Kwades Installation ParaPosition. Hinsetzen ausdrücklich erwünscht. Miteinander verbundene geschwärzte Stahlrahmen stützen zwei massive Gesteinsformationen, die trotz ihrer Grösse scheinbar schwerelos innerhalb der Konstruktionen schweben. Wer möchte, darf auf einem Stuhl direkt unterhalb einer Gesteinsformation Platz nehmen und Teil der Installation werden.

 

Die Auseinandersetzung mit gesellschaftsrelevanten Themen wie Feminismus, Rassismus, Genderforschung und das Patriarchat hat sich mittlerweile auch in der Kunstwelt etabliert.


Francis Offman: Untitled, 2019-2023
Francis Offman: Untitled, 2019-2023

Die Installation Untitled des ruandischen Künstlers Francis Offman besteht aus einem überdimensionalen, eingefärbten Stoffbehang, vor welchem sich auf dünnen Beinchen zahlreiche Bücher erheben; darunter die Bibel der Mutter des Künstlers sowie Aufzeichnungen eines nach Afrika reisenden Europäers aus dem 19. Jahrhundert. Als Bücherbeine fungieren historische Instrumente, die von belgischen Kolonisatoren in Ruanda eingesetzt wurden, um Gesichtsmerkmale der einheimischen Bevölkerung zu vermessen.

 

Bereit für mehr Gänsehaut? Dann gehen wir nun weiter zu der eindrücklichen Wandinstallation von Kresiah Mukwazhi aus Simbabwe, die sich in ihrer Kunst mit struktureller genderbasierter Gewalt und der Dekonstruktion des Patriarchats auseinandersetzt. Ein textiles Werk hebt sich von der Wand ab – bei genauerem Hinsehen lassen sich BH-Träger, zerrissene Spitze und Stofffragmente gebrauchter Unterwäsche erkennen. Mit den Stoffen verwoben sind die persönlichen Geschichten ihrer ehemaligen Trägerinnen, denn für die Arbeit Nyenyedzi nomwe (die Pleiaden der Sieben Schwestern) sammelte Mukwazhi die Unterwäsche von Sexarbeiterinnen in den Vortorten ihrer Heimatstadt Harare.



Mit ihrer Arbeit hinterfragt sie zugleich die umstrittene Macht des weiblichen Körpers sowie die den Frauen aufgebürdeten, kulturellen und gesellschaftlichen Normen, welche das Patriarchat und die systematische Gewalt gegenüber Frauen unterstützen.


Ryan Gander: School of Languages, 2003
Ryan Gander: School of Languages, 2003

Auf andere Art verstörend empfand ich die Arbeit von Ryan Gander. In School of Languages betreten wir einen Warteraum, in dessen Mitte ein leerer Schreibtisch platziert ist. Die verschwommene digitale Anzeige der Wartenummern lässt die Fehlermeldung 8888 erahnen, ein elektrischer Ventilator verbreitet einen schwachen, unangenehmen Geruch. Doch der Raum ist nicht leer. Unter dem Schreibtisch versteckt sich die animierte, lebensgrosse Verkörperung eines kauernden, weiblichen Gorillas.


Scheinbar ebenfalls verstört beobachtet dieser die Menschenmassen, die gleichsam ihre Augen auf das Tier richten. Während die Besucher:innen neugierig unter den Schreibtisch schauen und ihrem Lachen nach zu urteilen die dargestellte Situation als Komik empfinden, verspüre ich Unbehagen und Mitgefühl. Aber auch das ist Kunst: Das individuelle Erleben eines Werkes.

 

Zum Abschluss folgt wie bereits angekündigt eine alphabetische Liste der im Unlimited Sektor der Art Basel 2024 ausgestellten Künstlerinnen – für alle, die sich intensiver damit auseinandersetzen möchten:

Claudia Andujar, Julie Beaufils, Meriem Bennani, Miriam Cahn, Seba Calfuqueo, Nathalie du Pasquier, Torkwase Dyson, Dominique Fung, Samia Halaby, Maria Hassabi, Jenny Holzer, Karen Kilimnik, Christine Sun Kim, Minjung Kim, Yayoi Kusama, Alicja Kwade, Zoe Leonard, Liza Lou, Kresiah Mukwazhi, Ulrike Ottinger, Ursula Palla, Bettina Pousttchi, Faith Ringgold, Eva Schlegel, Chiharu Shiota, Teresa Solar Abboud, Janaina Tschäpe, Anna Uddenberg.

 

Wer weiss – vielleicht wird die Gewichtung auf der nächsten Unlimited anders ausfallen.




 

 

 

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